Einfache Geometrie – Einfaches Gussteil!?
…. Könnte man schnell denken. Leider ist es nicht immer der Fall, wie wir heute am Beispiel dieses Gussteils und seiner Entstehungsgeschichte zeigen wollen.
Probleme in der Gussteilgestaltung und dem Gießprozess an sich gibt es immer zu lösen. Die ersten Anpassungen in Sachen Entformungsschrägen, Wandstärken und Radien sind normal und unbedingt notwendig. Doch manchmal täuscht die scheinbar simple Geometrie des Bauteils über den eigentlichen Aufwand hinweg, den man betreiben muss, um ein den Ansprüchen entsprechendes Gussteil zu erhalten. Der auf den Bildern zu erkennende Artikel beschäftigte uns allein in der Planung und Konstruktion fast 1 Jahr, bis bei uns die erste Serienbestellung auf dem Schreibtisch landete.
Eine Oberfläche mit Anspruch
Wobei beim ersten Blick auf die Bilder nichts Spektakuläres auffällt. Doch es handelt es sich hierbei um einen Tischfuß für höhenverstellbare Schreibtische; ein Kunde aus der Möbelindustrie also; bedeutet in erster Linie hohe Anforderungen an die Optik; bedeutet eine andere Herangehensweise als sonst. Wieso? Dieses Gussteil wird nicht in irgendeiner Maschine verbaut und „nie wieder gesehen“. Es soll bei Privatpersonen mit makelloser Optik überzeugen. Das Gussteil besitzt defacto an allen Außenseiten Sichtflächen! Das bedeutet, es darf dort nicht geschliffen werden, was die Auslegung des Anschnitt- und Speisersystems an diesen Stellen nahezu unmöglich macht. Wir entwarfen und verwarfen zig Ideen mit einem Anguss über den Innenbereich. Doch Kokillenguss hat letztlich seine Grenzen und wir konnten uns mit dem sehr kooperativen Kunden zum Glück einigen, den Einguss auf eine der Außenseiten zu platzieren. Der einheitlichen Optik halber werden am Ende doch alle Außenseiten geschliffen. Auf der Oberseite sieht das hingegen anders aus. … klares Ziel des Kunden: eine feine und saubere Gussstruktur, die erkennen lässt, dass es sich um hochwertigen Guss handelt, gleichzeitig aber nicht so glatt wie Plastik daherkommt. Hier sind nicht die geringsten Fehlstellen zulässig. Keine Schlichteabplatzer, keine Krümel, keine Kaltlaufstellen,… Und erstrecht nicht schleifen! Das heißt aber im Endeffekt: nur die feinste Schlichte benutzen und die Außenseiten so sauber verputzen, dass nach dem anschließenden Strahlen und Pulvern keine Übergänge zu erkennen sind. Hier ist Abstimmung mit dem Kunden das A und O. Und das ganze Können des Gießers gefordert.Ein Innenleben mit Hintergrund
Nächstes Problem: Der Kunde wünscht variable Bohrbilder im Inneren des Gussteils und eingegossene Muttern. Dies können wir mit Körnungen und Zapfenaufnahmen leicht und kostengünstig umsetzen. Doch das verlangt an diesen Stellen Materialanhäufungen und das erhöht unvermeidlich die Gefahr von Lunkern und Einfallstellen in diesen und den äußeren Bereichen (nochmal kurze Erinnerung: Sichtflächen!) massiv. Zahlreiche Simulationsschleifen helfen uns letztendlich, die maximale Größe der Materialanhäufungen festzulegen, um ohne große Lunkergefahr gießen zu können und zugleich den sowieso schon trägen Materialfluss des dünnwandigen Bauteils (Länge Gussteil: 700mm; Wandstärke: 4,5mm) dabei nicht zu stören. Zumal der Kunde mit dem Plan an uns herangetreten ist, das ehemalige Stahl-Schweiß-Konstrukt des Bauteils in Sachen Stabilität deutlich zu verbessern. Ein Verbiegen des Gussteils soll bei der Länge und der geringen Wandstärke unbedingt vermieden werden! In solchen Fällen hilft Abgucken in der Natur: Eine Wabenstruktur erhöht mit minimalem Aufwand die mechanische Festigkeit enorm. Doch wie erhaben sollen die Waben ausgebildet sein? Reichen diese allein aus, um ein Verbiegen zu verhindern? An dieser Stelle sollte man manchmal einfach nur probieren, will man sich aufwendige und teure Berechnungen und den zu voreiligen Kokillenbau sparen. „Probieren“ sieht in unserem Fall so aus: Der Prototyp wird 3D-gedruckt und anschließend bei einer befreundeten Gießerei als Modell in Sand abgegossen. Ergebnis: Der Fuß verbiegt sich trotzdem noch. Also konstruieren wir wieder um. Es folgt quasi eine Vermischung von 4mm hohen Stegen mit den vorhandenen Waben, wodurch endlich die nötige Steifigkeit erreicht werden soll. Mit der Idee geht es wieder ab zum 3D-Druck und danach in den Sand. Ergebnis: So kann man es lassen.Das letzte Wort
Wir sind also endlich auf der Zielgeraden. Die Konstruktion steht. Die Festigkeit passt. Aber wie bereits am Anfang erwähnt: Das Gussteil soll in der Möbelindustrie eingesetzt werden. Und hier haben am Ende die Designer das letzte Wort!
Der ganze Aufwand lohnt sich. Die Designer sind zufrieden. Auf der Oberseite treten keine Einfallstellen auf. Die Lunker im Inneren, die trotz Simulation zu Beginn im Bohrbild auftreten, können durch Legierungswahl, Tricks und Überarbeitung des Speisersystems in Schach gehalten werden. Das Strahlen und die anschließende Pulverbeschichtung verdecken erfolgreich die sauberen Schleifspuren auf allen Seiten, die Oberseite glänzt mit einer fein strukturierten Gussoberfläche. Der Kunde ist mehr als zufrieden. Mehr wollen wir doch gar nicht.